Weihnachtsbrief der Schulleitung …
… über Stille und Klang und das Zuhören in einer immer lauter werdenden Welt
Liebe Mitglieder unserer Schulgemeinschaft,
am Ende eines ereignisreichen Jahres möchte ich allen von Herzen eine besinnliche und frohe Weihnachtszeit wünschen!
Wir leben in einer lauten Welt. Unterhaltung, Werbung, soziale Medien und ständige Erreichbarkeit drängen uns in eine Abhängigkeit von Intensität und Reizüberflutung. Der kanadische Klangforscher R. Murray Schafer (The soundscape, 1994) schätzte einst, dass der Stadtlärm jedes Jahr zunimmt – alle zwanzig Jahre verdoppelt sich die Lautstärke. Wenn wir weiter so leben, hören wir bald nicht mehr, was wirklich zählt.
Denn: „Die Welt ist Klang, und Stille verleiht dem Klang erst seinen Sinn.“
(Julian Treasure: Alles ist Klang, 2025, S. 335)
Wie Berge ohne Täler nicht denkbar sind, braucht jeder Klang Stille, um Struktur, Tiefe und Bedeutung zu gewinnen. Auch in Sprache und Musik entstehen Schönheit, Rhythmus und Sinn erst durch die Pausen zwischen Tönen und Worten. Stille ist die unsichtbare Grundlage allen Ausdrucks, sie ist der Raum, in dem wir wahrnehmen, verstehen und uns verbinden – mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen, mit der Natur.
In einer lauter werdenden Gesellschaft, wird Stille leicht zum seltenen Gut. Der Autor George Prochnik (The Pursuit of Silence, 2010) schildert eindrücklich, wie selbst Kinderprogramme heute „aufgedreht“ sind – immer bunter, schriller, schneller.
Umso wichtiger ist es, dass Kinder (und Erwachsene) Orte und Momente erleben, in denen Ruhe möglich ist: ein Spaziergang in der Natur, das Lauschen auf den Wind in den Blättern der Bäume oder auf Vogelgesang, das stille Lesen oder einfach gemeinsames Schweigen am Esstisch.
Als kleine Inspiration übersende ich Ihnen als Download eine Liste der 50 beliebtesten Klänge und Geräusche des Daily Telegraph vom 28. August 2012. Welche Klänge machen Sie glücklich, dienen Ihrem Wohlbefinden oder beim Denken und Arbeiten?
Stille ist kein Mangel an Lebendigkeit – sie ist eine Form von Fülle. Sie ist notwendig, damit wir unsere eigenen Gedanken denken und unsere eigenen Gefühle empfinden können – denn das definiert im Wesentlichen, wer wir wirklich sind. Wer Stille zulässt, hört wieder feiner, sieht wieder klarer und empfindet wieder tiefer. Wir brauchen Momente der Stille, um wieder klar zu hören – uns selbst, unsere Kinder, die Welt.
Gerade in einer Zeit, in der das Smartphone oft selbst bei Gesprächen den Ton angibt, zeigt sich, wie sehr uns Stille fehlt. Die DAK-Mediensuchtstudie 2025 beschreibt das Phänomen des Phubbing – wenn Menschen sich gegenseitig durch ihre Handynutzung ignorieren. Die Studie zeigt, dass sich immer mehr Kinder (und Eltern) dadurch übersehen und abgewertet fühlen. Stille und Zuhören – in Form echter, ungeteilter Aufmerksamkeit – sollte dem entgegengesetzt werden.
Wirklich zuhören heißt, dass man innerlich ganz still wird und nicht am eigenen Redebeitrag bastelt, sondern offen dafür ist, was der andere sagt. Diese Art des Zuhörens braucht Mut und Demut: Mut, darauf zu vertrauen, die richtigen Worte zu finden, wenn man wieder an der Reihe ist, und Demut, einem anderen Menschen ungeteilte Aufmerksamkeit und ebenbürtige Bedeutung zu schenken. So entsteht Verbindung – zwischen Eltern und Kindern, Lehrenden und Lernenden, zwischen Menschen überhaupt.
Auch in unserer Schule versuchen wir, Momente der Stille bewusst zu gestalten: im Unterricht, beim Lesen, in kleinen Pausen des Innehaltens. Kinder lernen dabei, dass Stille nicht Leere ist, sondern ein Raum, in dem Neues entstehen kann – Ideen, Gedanken und Perspektiven.
Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien eine gesegnete Weihnachtszeit und ein frohes, gesundes und friedvolles neues Jahr 2026 – mit Zeit für Stille und für das Lauschen, für echte Gespräche und liebevolles Miteinander!
Mit der, wie ich finde, schönsten Weihnachtsgeschenk – Idee, anknüpfend an die Worte von Julian Treasure (ebd., S. 335 f.), zu schließen: „Vor allem aber sollten Sie anderen das kostbare Geschenk des wahren Zuhörens bereiten – bewusstes, engagiertes Zuhören, mit Mitgefühl und Neugier, mit dem Wunsch zu verstehen, auch wenn wir nicht einer Meinung sind (oftmals genau dann, wenn wir nicht einer Meinung sind). So verändern wir die Dinge. Der Klang wirkt auf uns, und wir wirken auf den Klang. […] Schließen Sie die Augen. Und lauschen Sie.“
Mit herzlichen Grüßen
Hanna Kapp
Schulleiterin
Potsdam, 15. Dezember 2025